
Neuapostolische Kirche
Westdeutschland
Westdeutschland. Es ist eine Zeitenwende für die Neuapostolische Kirche: Vor drei Wochen gab Stammapostel Schneider bekannt, dass ab 2023 auch Frauen in ein geistliches Amt ordiniert werden können. Mit dieser schnellen Entscheidung hat die Kirchenleitung wohl viele Gläubige überrascht.
Es ist Dienstagabend, 20. September 2022, gegen 19.30 Uhr: Auf der Leinwand in den örtlichen neuapostolischen Kirchengemeinden zeigen Außenaufnahmen die Neuapostolische Kirche in Dessau, in der Stammapostel Jean-Luc Schneider den Informationsabend durchführte.
Gesendet wird an diesem Abend in vielen Sprachen, denn der Stammapostel will die Gläubigen weltweit möglichst zeitgleich informieren – über die Antwort auf die Frage der Frauenordination, die die Bezirksapostel unter Einbeziehung der Apostel in ihren Bereichen gemeinsam getroffen haben.
Gleicher Wert und gleiche Würde
„Vor Gott haben Frau und Mann die gleiche Würde, den gleichen Wert und den gleichen Auftrag“, erläutert der Stammapostel im Verlauf seines 17-minütigen Vortrags – für viele Zuschauer ein wichtiges Statement, das im Rückblick immer wieder zitiert wird.
Und dann die entscheidende Passage: „Wir haben alle Fragen in der Bezirksapostelversammlung eingehend und wirklich intensiv beraten und die Antworten mit allen Aposteln besprochen. Vor diesem Hintergrund gebe ich hiermit bekannt: Das Apostolat – die Apostel in der Einheit mit dem Stammapostel – entscheidet, dass Frauen aufgrund der Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit der Geschlechter mit Amtsvollmacht betraut werden können.“
Mit dieser konkreten Entscheidung haben an diesem Abend wohl die wenigsten gerechnet. In der Ankündigung hieß es, der Stammapostel wolle über den Stand der Beratungen informieren. Viele Zuschauer sind überrascht, dass nun in dem seit 2014 laufenden Prozess der Ausformulierung des Amtsverständnisses schon eine Entscheidung gefallen ist. Doch in den nächsten Tagen zeigt sich: Die Mehrheit bewertet den Schritt positiv.
Positiv überrascht
Nach knapp 22 Minuten endet der Infoabend wieder mit Außenaufnahmen der Kirche. Und zurück bleiben überraschte, aber gelassene Kirchenmitglieder. Von Ablehnung erstmal keine Spur.
„Ich finde das toll, weil es zeigt, dass wir eine offene Kirche sind“, sagt Ute. Positiv wird von ihr insbesondere der Gedanke der Gleichberechtigung bewertet: „Die Entscheidung ist wichtig – nicht nur wegen des Amtsträger-Nachwuchses, sondern für die Stellung der Frau in der Kirche – und daher längst überfällig“, meint ein anderes Gemeindemitglied.
„Ich bin sehr positiv überrascht worden und freue mich, dass meine Kirche sich entwickelt, Gottes zeitgemäßen Willen erforscht und auch den Mut aufbringt, das Ergebnis konsequent umzusetzen“, meint Rüdiger. „Das hat man als neuapostolisches Kind der 60er-Jahre nicht immer so erfahren.“
„Kann ich mir gerade nicht vorstellen“
„Ich finde das gut“, sagt auch ein Priester im Ruhestand und ergänzt mit nachdenklichem Blick auf den vorderen Bereich des Kirchenschiffs: „Aber eine Frau hinter dem Altar kann ich mir gerade nicht vorstellen.“
Das spontane Statement zeigt: Die Veränderung wird positiv bewertet, wird aber für viele auch gewöhnungsbedürftig sein. „Wir sind halt anders geprägt“, ergänzt er entschuldigend.
Viele fähige junge Schwestern
In der Sakristei treffen sich schließlich die Amtsträger zu einer kurzen Besprechung. „Wir haben so viele fähige junge Schwestern“, meint ein Priester. Ein anderer sieht Schwierigkeiten bei der Akzeptanz und befürchtet Vorbehalte bei älteren Kirchenmitgliedern. „Besonders spannend wird die Kleiderfrage.“ Es werde dauern, bis das neue Amtsverständnis von allen akzeptiert werde.
Ein weiterer Priester meint, dass die Veränderung viel zu spät komme: „Es gibt seelsorgerische Sonderfälle, wo Männer wie Blinde von Farben sprechen. Hier ist eine Frau mit Amtsvollmacht wichtig.“ Und: „Hoffentlich tragen die gewonnenen Erkenntnisse zum Umgang Jesus Christus mit der Diversität innerhalb der menschlichen Gesellschaft auch noch weitere Früchte.“
Theologische Fragen stellen sich an diesem Abend spontan nicht. „Die ausführlichen Erläuterungen des Stammapostels werden uns sicher eine große Hilfe bei der Weitervermittlung sein“, sagt ein Diakon.
Offene Fragen
Auch in den deutschen sozialen Medien überwiegen an diesem Abend die positiven Kommentare: „Das ist meine Kirche“, schreibt eine stolze junge neuapostolische Christin. „Eine Bereicherung“ schreibt ein anderer Nutzer. Doch es gibt vereinzelt auch Rückfragen: Es werden Bibelverse aus den Pastoralbriefen zitiert und um eine genauere Einordnung von Aussagen in den Briefen von Paulus und Timotheus gebeten. Weitere Schreiber verweisen auf den Sündenfall.
Doch der Stammapostel hat zugesagt: „Wir werden alle Fragen beantworten: in unseren Medien, in Schulungen oder im Dialog.“ So war der Infoabend nur der Beginn des Informationsprozesses.
Schulungen und Einführungsveranstaltungen
Im Oktober erscheint eine Sondernummer der „Leitgedanken für Amtsträger“ zum Thema „Die Vermittlung von Amtsvollmacht und Amtsauftrag an Frauen“. Diese Ausführungen werden dann in vereinfachter Form auch auf den kirchlichen Internet-Portalen und in den Kirchenzeitschriften veröffentlicht. Zudem sind in Westdeutschland Schulungen für die leitenden Amtsträger vorgesehen, die von den Aposteln und Bischöfen durchgeführt werden. Im zweiten Schritt folgen dann Einführungsveranstaltungen für alle Interessierten.
Die Neuapostolische Kirche International hat auf ihren Seiten zudem "Häufige Fragen und Antworten zur Frauenordination“ veröffentlicht, unterteilt in grundsätzliche, theologische, organisatorische und persönliche Themen.
11. Oktober 2022
Text:
Frank Schuldt
Fotos:
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